Millimeter für Millimeter

Michael Resch lernte nach einem Motorradunfall gegen jede ärztliche Prognose mühsam wieder

 

Er steht. Für den Behinderten-Golfer Michael Resch war das lange unmöglich BILD: HEINZ HEISS
Er steht. Für den
Behinderten-Golfer
Michael Resch war
das lange unmöglich
BILD: HEINZ HEISS

 

Manchmal reduziert sich das Leben auf ein ganz simples „Ich will unbedingt“. Auch Michael Resch war an dem Punkt, an dem ihm keine Medizin, sondern nur noch der schiere Wille helfen konnte. Sein eigener Wille. Und so kämpfte sich der 35-Jährige aus Bietigheim in der Nähe von Stuttgart imHerbst des Jahres 2000 Tag für Tag in seinem Rollstuhl in die Sporthalle. „Ich will auf meinen eigenen Füßen aus demKrankenhaus gehen, egal was die Ärzte sagen“, so motivierte er sich immer und immer wieder selbst. Er spürte da doch was in seinen angeblich gelähmten Beinen, das war doch keine Einbildung. Also wuchtete er sich unzählige Male mit der Kraft seiner Arme im Barren in die Höhe und ließ langsamsein Gewicht auf seine Beine sinken. Michael Resch weiß heute nicht mehr, wie oft er gescheitert ist, aber er erinnert sich noch genau wie das wahr, als er plötzlich tatsächlich drei Sekunden zitternd stehen blieb, ehe er wieder in den Rollstuhl zurückplumpste.

Knapp 14 Jahre später sitzt der jetzt 49-Jährige auf der Sonnenterrasse des Golfclubs Neckartal am Rand von Kornwestheim. Heute ist er einer der besten Golfer mit körperlichem Handicap und will im September in Japan bei der ersten Einzel-WMfür behinderte Golfer am Abschlag – ja, genau: stehen. Dass er jemals in seinem Leben an einem sportlichen Wettkampf teilnehmen würde, daran war nach dem 8. Juni 2000 nicht zu denken gewesen. Damals stürzte Resch bei einer Motorradtour in den Löwensteines Bergen schwer. Mitsamt dem Motorrad flog er aus der Kurve, über die Leitplanke hinweg einen Abhang hinunter. Er verlor sofort das Bewusstsein und musste mit dem Hubschrauber geborgen werden. Die erste Diagnose: offenes Schädel-Hirn- Trauma, Querschnittslähmung, etliche Knochenbrüche. „Was man sich brechen konnte, war gebrochen“, sagt Resch heute.Und als er nach knapp zweiMonaten aus dem künstlichen Koma erwachte, konnte er sich an nichts erinnern. Ein derart einschneidendes Erlebnis kann einen Menschen komplett brechen. Bei Michael Resch war es anders. Sein Rückenmark war zwar an manchen Stellen irreparabel getrennt, aber an anderen eben „nur“ gequetscht. „Mir war schnell klar, dass ich nie wieder würde rennen können. Fußball und Tennis – leider erst wieder im nächsten Leben“, sagt er heute mit einem Lächeln, das nicht gequält aussieht. Aber es gab ja das Golf, das er schon vor seinem Unfall leidenschaftlich gespielt hatte. „Ich wollte gerne wieder auf den Platz“, sagt er, „aber auf keinen Fall im Rollstuhl.“ Doch dazu braucht es bei derart gravierenden Verletzungen neben Optimismus eine gewaltige Portion Energie. Und die spürt man bei ihm sofort. Ein kräftiger Händedruck, eine klare, prägnante Stimme, präzise Aussagen und eindeutige, ehrgeizige Ziele. Kurzum: 100 Prozent Einsatz mit dem Ziel 100 Prozent Erfolg. Kurz nach demUnfall, da dachte Resch noch nicht an Golf. Zumindest nicht auf seinem heutigen Niveau. Deshalb nahm er den Golfball, den ihm sein Freund Florian Fleischmann nach dem Aufwachen aus dem künstlichenKoma aufs Krankenbett gelegt hatte, zunächst ohne große Hoffnung in Empfang. Als es mit dem Gehen dann doch wieder halbwegs funktionierte, dachte er darüber nach, warum nicht gerade Golf ihm helfen könnte. Bei dem Sport lernt man Zähigkeit und Demut vor der Aufgabe. „Golf“ sagt er, „ist der schwerste Sport überhaupt, es geht nur Millimeter vorwärts.“ Und genauso war es in seinem Kampf gegen die starken Verletzungen.

Sieben Jahre nach demUnfall starteMichael Resch seine sportliche Karriere. 2007 spielte er in Bad Füssing die deutsche Meisterschaft der behinderten Golfer – und gewann prompt den Titel. 2008 wiederholte er seinen Erfolg und wollte auch bei den Nichtbehinderten mit seinem Freund Fleischmann Turniere spielen. Zunächst wurde er dabei vomRegelwerk ausgebremst, das bei Meisterschaften die Benützung eines motorisierten Golfwagens nicht erlaubt. Doch den braucht Resch, da ihm sein rechtes Bein nur zum Teil gehorcht, da er keine Kontrolle über sein Sprunggelenk hat. Mittlerweile gibt es diese Regel nicht mehr. Und Resch misst sich auch mit Gesunden. Über die Jahre wurde Michael Resch somit zu einem international renommierten Behinderten-Golfer. 2009 wurde er mit der deutschen Nationalmannschaft Vize-Europameister, im vergangenen Jahr schaffte er den zweiten Platz bei der nationalen WM-Qualifikation, so dass er in diesem Jahr die WM in Japan im Visier hat.

Die endgültige Qualifikation dafür sind die deutschen Meisterschaften in Hamburg am kommenden Wochenende. Ein Ziel wird allerdings auch für ihn schwer zu erreichen sein: Golf wird in Rio de Janeiro 2016 zwar olympisch, fand aber keine Aufnahme bei den Paralympics. Zumindest bisher nicht, doch daran könnte sich vielleicht noch etwas ändern. Und dann stünde Michael Resch wieder an einem Punkt, an dem es Zeit wird für ein schlichtes: Ich will, unbedingt. Jürgen Löhle

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